Meeresglitzern

8. Dezember 2014 | Von | Kategorie: Print, Texte

Es gibt wohl kein Schiff, das so bekannt ist und die Emotionen der Menschen so berührt wie die 1912 gesunkene Titanic. 100 Jahre später eröffnete das „Titanic Belfast“ seine Tore: ein Erlebniszentrum, das die Geschichte des Luxusliners nacherzählt und den Besucher bereits von Weitem mit seiner außergewöhnlichen Fassade in Bann zieht.

Titanic Belfast

Titanic Belfast – Foto: Donald McCann/Novelis

„She was allright when she left“ (Sie war in Ordnung, als sie abfuhr), sagen die Belfaster und meinen damit die Titanic, die am 2. April 1912 den Hafen der nordirischen Stadt verließ und nach Southampton fuhr. Von dort startete der Luxusliner am 10. April 1912 zu seiner Jungfernfahrt, die nach der Kollision mit einem Eisberg in der Nacht vom 14./15. April 1912 jäh endete. Die auf ihren Schiffsbau stolzen Belfaster waren schockiert und traumatisiert, die Titanic-Katastrophe über Jahrzehnte ein Tabuthema. Doch als 1985 das Wrack entdeckt und 1997 die Verfilmung mit Leonardo DiCaprio und Kate Winslet ein Welterfolg wurde, entwickelte sich in der Stadt das Bewusstsein, dass die Geschichte des Luxusliners auch einen positiven Einfluss auf Belfast haben könnte. Da sich zu diesem Zeitpunkt jedoch noch Katholiken und Protestanten erbittert mit Bomben und Brandanschlägen bekämpften, bildete eine friedliche Stadtentwicklung die Voraussetzung für weitere Überlegungen.

Am 10. April 1998 war es soweit: Mit der Unterzeichnung des Karfreitagsabkommens (Good Friday Agreement) wurde der Nordirlandkonflikt beendet und für Belfast war der Weg frei für die Rückbesinnung auf die traditionsreiche Ingenieurs- und Schiffsbaukunst. Die ehemaligen Docklands um die noch immer existierende Werft Harland & Wolff wurden in Titantic Quarter umbenannt und städtebaulich entwickelt. Herzstück des Areals ist das Titanic Belfast, ein Erlebniszentrum, das die Geschichte des Luxusliners erzählt – von den Planungen über Bau, Inbetriebnahme und Untergang bis hin zur Entdeckung des Wracks. Das Ausstellungskonzept, das von Architekten, Museumspädagogen und Event-Spezialisten entwickelt wurde, spricht die Sinne der Besucher an und lässt sie die Geschichte des mächtigen Schiffes riechen, hören und fühlen – intensiv und pietätvoll. Den Abschluss bildet der Gang über einen Glasboden, unter dem sich hochauflösende Fotografien vom Wrack auf dem Meeresgrund befinden.

Spektakuläres Gebäude
Titanic Belfast

Das Erlebniszentrum steht mitten in den Docklands von Belfast, wo einst die Titanic auf der Werft von Harland & Wolff gebaut wurde. Foto: Donald McCann/Novelis

So spektakulär wie die Geschichte des Luxusliners so spektakulär ist die Architektur des Titanic Belfast: Aus einem quadratischen, sechsgeschossigen Glasbaukörper (Eisberg) ragen vier bugförmige Gebäudespitzen empor. Das Zentrum verfügt über eine Ausstellungsfläche von 14.000 m² und wurde als Stahlbeton-Konstruktion realisiert. Die Außenhülle des 38,5 m hohen „Eisberges“ und der Bootsrümpfe besteht im Erdgeschoss aus einer thermisch getrennten Aluminium-Glas-Sonderkonstruktion. Bei den darüber liegenden Geschossen wurde die Glasfassade des Zentralgebäudes als Stahltragwerk mit Brandschutzanstrich und 2-facher Isolierverglasung ausgeführt.

Der – weithin sichtbare – Clou ist die Gestaltung der vier Bootsrümpfe, die sich über dem Erdgeschoss in einem Winkel von 72° erheben und mit einer Höhe von 28 m genauso hoch wie das Schiff vom Kiel bis zur Brücke sind. „Sie sollten so aussehen wie in der Sonne glitzernde Meeresoberflächen“, berichtet Anton Früh, Geschäftsführer der Metallbau Früh GmbH. Die Umsetzung erfolgte mit rund 3000 eloxierten Aluminiumpaneelen, die 2000 unterschiedliche Formen aufweisen und durch die diagonale Montage die bugartige Gebäudeform betonen. Die 3-D-Formen für die 4,5 m langen und 0,80 m breiten Paneele hat der Metallbauer zusammen mit dem Architekten entwickelt. „Wir haben uns bei der Konzeption an geschliffenen Diamanten orientiert, die Formen am PC entwickelt und sie computer-gesteuert dreidimensional umgesetzt.“ Zu den zahlreichen Herausforderungen zählten dabei die unterschiedlichen Höhen, die die in einem Winkel von bis zu 25° hervorstehenden Alu-Paneele durch die Umformung erhielten. „Das war wie ein Puzzle. Jedes Element musste trotz seiner individuellen Form auf allen vier Seiten in der richtigen Höhe an das jeweilige Nachbarblech anstoßen“, erinnert sich A. Früh. Die 3 mm starken, asymmetrisch geformten Paneele sind von Novelis hergestellt, in Deutschland und in Belfast geformt und vor der Montage in England eloxiert worden.

Die 6200 m² große Fassadenfläche der vier Rümpfe wurde als vorgehängte hinterlüftete Fassade ausgeführt und besitzt folgenden Aufbau (von innen nach außen): Trockenbaukleidung, Wärmedämmung, Stahltragwerk, Sandwichelemente mit Wärmedämmung, Unterkonstruktion aus Aluminium und Alu-Paneele.

Publikumsmagnet

Das Erlebniszentrum Titanic Belfast ist mit Gesamtbaukosten von über 100 Mio. £ das teuerste Tourismusprojekt von Nordirland. Es wurde nach einer Bauzeit von vier Jahren im März 2012 zum 100-jährigen Gedenktag der Katastrophe eröffnet und ist vom Start weg ein echter Publikumsmagnet. Für einen Besuch empfiehlt sich die frühzeitige Buchung von Tickets, denn das Zentrum hat – wie die Titanic selbst – nur eine begrenzte Aufnahmekapazität (www.titanicbelfast.com). Ein spannendes Video über den Bau der Titanic und des Erlebniszentrums gibt es auf der Homepage des Entwurfsarchitekten (www.civicarts.com/titanic-signature-project.php).

Jola Horschig, Springe

Erschienen in: Dachbaumagazin 12/20214

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